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Zur Entwicklung der Urologie in Köln und im Rheinland

 

Einführung

"Die Medizin im Rheinland hat seit jeher wichtige Impulse für die Medizin ihrer Zeit geliefert."
Diese Feststellung des bekannten Düsseldorfer Medizinhistorikers Franz Schadewaldt konnte für die Fachbereiche Chirurgie und Innere Medizin in vielfältigen Publikationen untermauert werden.
Für die Urologie fehlen regionalbezogene Untersuchungen. Nur für die Städte Berlin, Wien und Paris existieren Studien. Unter dem Begriff "Rheinland" versteht man neben der geographischen Bezeichnung das Gebiet der ehemaligen Rheinprovinz, das erst auf dem Wiener Kongress 1815 Preußen zugesprochen worden war. Die Rheinprovinz setzte sich aus recht heterogenen Landesteilen zusammen. Sie bestand aus geistlichen und weltlichen Fürstentümern, und die vorausgegangene französische Besatzung sorgte ebenfalls für eine unterschiedliche regionale Gliederung. Angesichts dessen bildete hier der Rheinstrom das verbindende Element.
Weiterhin ließ eine gemeinsame Verwaltungsstruktur ab 1815, die entstehende Provinzialverwaltung und das integrierende Amt des Oberpräsidenten in Koblenz eine "neue" kulturelle, ökonomische und politische Landschaft entstehen, die von anderen deutschen Regionen als Einheit angesehen wurde und gegenüber anderen preußisch-deutschen Bundesstaaten einige Besonderheiten besaß. Für unsere Untersuchung soll das Gebiet auf die rheinischen "Stammlande" zwischen Aachen, Köln, Düsseldorf und Bonn begrenzt werden.

Die ältesten Fundstücke

Im Neußer Valetudinarium (Militärlazarett) wurde eine Reihe von wertvollen Funden medizinischer Geräte gemacht. Besonders zu erwähnen ist ein Bronzekatheter, der einem Fundstück aus Pompeji sehr ähnlich ist. Ein weiterer rheinischer Fund dieses ältesten endo-urologischen Therapieinstrumentes gelang bei der Freilegung eines Ärztegrabes bei Bingen. Er ist heute in London ausgestellt. Wie alle dünnen, röhrenförmigen Objekte sind Katheter nur sehr selten erhalten geblieben, was Archäologen mit der extrem leicht möglichen Beschädigung durch Druck in Zusammenhang bringen. Nur aus Pompeji und Kleinasien (Kolophon) wurden weitere Fundstücke geborgen.
Das Mittelalter führte zu einem allgemeinen Verfall der griechisch-römischen Medizin. Dies förderte die Bildung spezialisierter Zunftgruppen in den mittelalterlichen Städten, so auch in Köln und Aachen. Vielfach traten an die Stelle der Ärzte Heilige, von deren Wundern das gemeine Volk Genesung von allen "bösen Krankheiten" erhoffte. Die Hagiographie kennt den Heiligen Liborius als Schutzpatron der Harnsteinkranken und somit wichtigsten Schutzheiligen für die Urologie. Seine Reliquien wurden 836 auf Veranlassung Ludwigs des Frommen bei Köln über den Rhein getragen, um der Diözese Paderborn im nicht christlichen Norden einen geistigen Mittelpunkt zu geben.

Auch für die älteste urologische Operation, die Zirkumzision, lassen sich bereits im Mittelalter frühe Nachweise im Rheinland finden. Der frommen Legende nach soll die "hochheilige Vorhaut Christi" durch Engel auf Karl den Großen in Aachen gekommen sein. Dieser vermachte sie anlässlich seiner Krönung dem Lateran als bedeutendste Reliquie der Christenheit. Die Ikonographie der Beschneidung Christi wurde von den Rheinischen Meistern der Altarmalerei in mehreren Zyklen "Marienleben" dargestellt. 

Hervorzuheben ist eine Beschneidungsszene auf einem Altarflügel um 1600 (Meister der Heiligen Sippe), der thematisch zu einem Antwerpener Altar in der Pfarrkirche zu Geilenkirchen-Ophoven gehört. In dieser Komposition, die heute in der Münchener Alten Pinakothek ausgestellt wird, stehen sich der beschneidende Mohel und die das Kind haltende Frau gegenüber, denen sich Maria und Josef nähern. Die Anwesenheit Marias als Kindesmutter entspricht jedoch nicht jüdischer Tradition (die Schwangere galt als unrein).

 

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Von Steinschneidern und Wundärzten

In den Kölner Ratsprotokollen finden sich mehrfache Hinweise zu Bruch-, Stein- und Hodenschneidern, die ihre Stände auf dem Heu- und Neumarkt aufschlugen. Es liegt in der Natur dieser Quellen, dass wir über die alltägliche Arbeit wenig erfahren und nur Missstände und Komplikationen aufgelistet werden. Am 16.07.1574 erhielten die Steinschneider in Köln die Auflage, vor jeder Operation an gebrechlichen Personen den Bürgermeister zu informieren.

Unter den marktschreierischen Schaustellern des 17. Jahrhunderts ragt Frère Jaques Beaulieu (1651-1714) heraus, der den Katalog der operativen Zugangswege um den Seitensteinschnitt erweiterte. 1689 operierte der in Mönchskutte Umherziehende im Hause des Schöffen de Witte in Aachen über 200 Patienten in einem Monat mit einer Letalität von 2%:

Um die medizinisch-urologische Versorgung der Landbevölkerung in der neu gebildeten Rheinprovinz zu heben, sollte um 1820 ein verbessertes Instrumentarium für die ansässigen Wundärzte angeschafft werden. Ein erhaltener Aktenfaszikel im Düsseldorfer Staatsarchiv gibt den Blick auf eine "modern" anmutende Kostendiskussion frei: "Steinschnittoperationen" würden nur in benachbarten großen Städten ausgeführt, zudem besäßen die Steinschneider selbst das Instrumentarium.
Die entscheidende Weiterentwicklung unseres Fachgebiets im 19. Jahrhundert wurde durch die Veröffentlichung des Franzosen Desault (1744-1795) zur Harnröhrenstrikturbehandlung eingeleitet.
Für das Rheinland markierte eine Publikation des Aachener Wundarztes Wenzel Krimer (1795- 1834) den Beginn dieser neuen Etappe. Sie belegt Beherrschung einer subtilen transurethralen Operationstechnik, präzise Indikationsstellung und fundierte pathologisch-anatomische Kenntnisse.

 

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Medizin wandelt sich zur Wissenschaft

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzog die operative Medizin den Wandel von der deduktiven, naturphilosophischen Methode zur naturwissenschaftlichen orientierten Arbeitsweise, was auch im Krankenhausbau, wie in Köln mit Errichtung des Bürgerhospitals, seinen städtebaulichen Niederschlag fand.
Nachdem die Franzosen 1794 Köln besetzt hatten, wurde auf kaiserliches Dekret Napoleons I. (1769 - 1829) 1802 in den säkularisierten Klöstern St. Cäcilien und St. Michael in der nähe des Neumarktes ein "Bürgerhospital" zur verbesserten Versorgung der Stadtbevölkerung eingerichtet (heute Schnüttgen-Museum und Josef-Haubrich-Kunstforum)

 

Entstehung und Erfolge des Kölner Bürgerhospitals

Zwischen 1843 und 1847 konnte dann ein für die Zeit und das Rheinland richtungsweisender Neubau im Korridorstil errichtet werden.
Am Bürgerhospital wirkte zwischen 1874 und 1913 Bernhard Bardenheuer (1839 -1913), Schüler Gustav Simons (1824 - 1876) und Bernhard von Langenbecks (1810 - 1887), der die Urologie um wichtige Inhalte bereicherte. Sein "Thürflügelschnitt" verbesserte bei Nephrektomien die präoperative Diagnostik der "gesunden Gegenseite" zu einer Zeit, als eine präoperative Funktionsdiagnostik technisch noch nicht möglich war.
Das Kölner Bürgerhospital gehörte zu den größten chirurgisch-operativen Krankenanstalten in Europa (ca. 510 Betten insgesamt um 1900, 1905: 324 chirurgische, Berlin Charité: 270 chirurgische, München Nußbaumstraße: 293 chirurgische Betten). Hier erreichte Bernhard Bardenheuer ein beachtliches Leistungsniveau.

Nachdem Richard von Volkmann (1830 - 1889) in Halle/Saale schon am 1. Dezember 1872 in seiner Klinik die Listersche Antisepsis mit gutem Erfolg eingeführt hatte, übernahm Bardenheuer nach Besuch dieser Klinik das neue Verfahren 1875 in sein Krankenhaus gegen viele Widerstände. Für die Hospitalverwaltung und damit die städtische Armenkasse bedeutete dies eine jährliche Mehrbelastung von ca. 4000 Thalern (vgl. ein Verwaltungsbeamter der Zeit verdiente ca. 2000 Thaler im Jahr, ein Universitätsprofessor der Medizinischen Fakultät Bonn ca. 1500 Thaler pro Jahr, Bardenheuer ca. 6000 Thaler). 1888 führte Bardenheuer während der Kölner Assistenzarztzeit Kurt Schimmelbuschs (1860 - 1895), der später einen Bestseller der chirurgisch-operativen Asepsis verfassen sollte, die Sterilisation von Verbandsmaterial (Schimmelbusch-Trommel) als erster deutscher Chirurg ein.

Am 13.01.1887 führte er bei Theodor Baum (1830 - 1887) die erste totale Zystektomie (Blasenausrottung) durch, eine Operation, die noch 1910 eine Letalität von über 50% aufwies.
Leider fand sein uro-chirurgisches Wirken in der deutschen Literatur im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten kaum Widerhall. Seine bedeutsame Büchersammlung, die bis 1933 separat im Bürgerhospital aufgestellt war und ca. 10.000 Bände umfasste, ist heute wesentlicher Bestandteil der Zentralbibliothek der Universität zu Köln.
Von seinen beiden Nachfolgern in Köln, Otto Tilmann (1872 - 1934) und Paul Frangenheim (1876 - 1930), widmete sich nur Frangenheim der Uro-Chirurgie. Er beschäftigte sich mit Fragen zum Kryptorchismus (Leistenhoden) und gab eine spezielle Nephropexietechnik an.

Ein weiterer früher Urologe in Köln und im Rheinland war Gottfried Thelen (1871 -1941). Er erfuhr seine fundierte Ausbildung in Wien, Berlin und Paris, den Weltzentren der damaligen Urologie. Als niedergelassener Spezialarzt, der zunächst Belegbetten im Vinzenz Krankenhaus in Köln - Nippes unterhielt, trug er wesentlich zu den Fortbildungskursen der "Akademie für ärztliche Fortbildung" (gegründet 1904) bei, der Vorläuferin der medizinischen Fakultät. 1912 wurde ihm seitens des preußischen Kultusministeriums der Titel "Dozent" verliehen.

Auch zur Entwicklung der urologischen Röntgendiagnostik kamen aus dem Bürgerhospital wichtige Impulse: Alfred Roseno berichtete über Versuche zur Ausscheidungsurographie mit Pyelognost®, und Oberarzt Bronner publizierte 1930 in Zusammenarbeit mit den nahegelegenen IG Farben Werken in Leverkusen über Abrodil®, das neben dem 1929 neu eingeführten Uroselektan® sogar bessere Abbildungseigenschaften besaß.

 

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Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg

In der Zeit des Umbruchs nach dem 1. Weltkrieg fiel auch die Gründung der selbständigen Urologischen Abteilung im neugebauten St. Elisabeth Krankenhaus Köln-Hohenlind unter dem Lichtenberg-Schüler Walter Heckenbach (1899 - 1939) 1933. 50 Betten standen ihm zur Verfügung, Arbeitsschwerpunkte der Abteilung bildeten die Steinchirurgie, Tuberkulosebehandlung der Harnorgane sowie Blasentumoren, da häufig Arbeiter der benachbarten IG Farben Werke Leverkusen therapiert wurden.
Otto Boden (1906 - 198 ), einer seiner Assistenten und seit 1938 Chefarzt der Urologischen Abteilung des Kölner Hildegardis-Krankenhaus, hielt 1953 zur Begutachtung dieser Berufserkrankung ein ausführliches Referat auf dem Deutschen Urologenkongreß in Aachen.
Alfred Gütgemann (1907 - 1985), Bonn, konnte erste brauchbare Farbfotografien des Blaseninneren anfertigen und einen zur damaligen Zeit viel beachteten Farbfilm 1940 (Kodachrom) produzieren.
Während in Aachen und Bonn sowie den rheinischen Kleinstädten vor dem 2. Weltkrieg keine eigenständige Hauptfachabteilung Urologie etabliert werden konnte, widmete sich P. Janssen (1874 - 1947) in der Privatklinik Düsseldorf-Golzheim seit 1926 besonders der Uro-Chirurgie. Sein Nachfolger Hans Boeminghaus (1893 - 1979) erneuerte nach dem 2. Weltkrieg die deutsche Urologie und präsidierte deren ersten Nachkriegskongress in Düsseldorf 1948.

Bis Beginn des 2. Weltkrieges, der eine natürliche Zäsur in der weiteren Entwicklung bedeutete, existierten im Rheinland rein fachurologische Behandlungseinheiten:

  • 1916 Köln - Nippes Vinzenz Krankenhaus - Thelen
  • 1926 Düsseldorf - Golzheim - Janssen
  • 1933 Köln - Hohenlind Caritaskrankenhaus - Heckenbach
  • 1934 Krefeld - Mennicken
  • 1938 Köln Marien - Krankenhaus - v. Ferstel
  • 1938 Köln Hildegardis - Krankenhaus - Boden


Weiterhin konnte Karl Heusch (1894 - 1986) aus Aachen nach dem 2. Weltkrieg unser Fachgebiet berufspolitisch stärken. Als Schüler Otto Ringlebs (1875 - 1946) arbeitete er in seiner Habilitationsschrift über die Pathologie des Blasenkrebses heute noch gültige Grundsätze und Therapieaussagen aus.
1947 wurde er Chefarzt der neugeschaffenen Urologischen Abteilung der Aachener Klinischen Anstalten und präsidierte 1953 den 15. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Bei diesem Anlass wurde der Berufsverband Deutscher Urologen gegründet und der von A. v. Lichtenberg 1928 gestiftete Nitze-Preis neu etabliert.

Erst am 23.03.1957 konstituierte sich die Nordrhein-Westfälische Gesellschaft für Urologie.
Durch die Errichtung urologischer Lehrstühle an den rheinischen Universitäten zwischen 1965 und 1975 konnte unser Fachgebiet endgültig in den Kreis medizinischer Spezialgebiete eingereiht werden. Hermann Dettmar (1918 - 1995) aus Düsseldorf war der erste urologische Lehrstuhlinhaber im Fachgebiet Urologie, der durch seinen chirurgischen Chef, Prof. Ernst Derra (1901 - 1979), als selbständiger Hochschullehrer eingesetzt wurde.
Verstärkt wurde dieser Trend durch die Etablierung weiterer selbständiger urologischer Abteilungen u.a. in Eschweiler - Steffens (1963 / 1967), Düren - Rathert (1977), Frechen - Pieritz, Mechernich - Fröhlich (1976), Bardenberg - Lymburopoulos (1972), Erkelenz-Immenrath - Dietz (1974) sowie im neugebauten Städtischen Krankenhaus Köln-Holweide - Lehmann(1972).

Zuvor wurde die stadtkölnische Urologie in der Tradition des Bürgerhospitals im Rahmen des 2. Chirurgischen Universitätslehrstuhls im Krankenhaus Köln-Merheim betrieben; aufgrund der massiven Kriegszerstörung waren 1945/46 Abteilungen von der Cäcilienstraße in den Fliegerhorst Köln-Ostheim übersiedelt bzw. neu etabliert worden.

Ein letzter wichtiger Innovationsimpuls für die rheinische Urologie, allerdings aus Bayern, erfolgte durch die Installation von Lithotriptoren in den 80er Jahren, die die Urologie zu einem Werbeträger einer modernen Technikmedizin werden ließ.

Historisch gesehen bedeutet der Nierensteinlithotriptor für unsere Abteilung in Köln-Holweide einen Rückschritt, da wir nun unseren Beruf wieder - wie die fahrenden Steinschneider - im Umherziehen ausüben. Bekanntermaßen ist das Gerät zur Zeit in der Universitätsklinik "Lindenburg" aufgestellt.

 

Dr. med. Friedrich H. Moll, M. A. FEBU
Curator des Museums zur Geschichte der Urologie 
Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf

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Publikationen

Urologie 1945-1990, Springer

Urologie 1945-1990:
Entwicklung und Vernetzung der Medizin in beiden deutschen Staaten

Springer

Urologen im Nationalsozialismus - Zwischen Anpassung und Vertreibung, Hentrich & Hentrich

Urologen im Nationalsozialismus:
Zwischen Anpassung und Vertreibung

Hentrich & Hentrich

Urologen im Nationalsozialismus: Biologien und Materialien, Hentrich & Hentrich

Urologen im Nationalsozialismus:
Biologien und
Materialien

Hentrich & Hentrich


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Zur frühen Entwicklung der Brachytherapie der Prostata

Patent medicines for the treatment of genitourinary diseases.

Saint Liborius, patron of European urology. Iconography found in Croatia and Spain.

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